Zeichnung Stifter die Burg Wittinghausen Ruine
Adalbert Stifter - Die Ruine der Burg Wittinghausen

Ein sehr langer Roman über eine kaum bekannte Figur des Hochmittelalters — 5 Fragen gegen die Berührungsängste.

 

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Die Handlung des Textes soll hier nur kurz und knapp wiedergegeben werden: Der Roman spielt im 12. Jahrhundert und der Protagonist ist ein unscheinbarer junger Aldiger namens Witiko, der aus Plan im Böhmerwald kommt und der es sich zum Zeil gesetzt hat, zu Erfolg zu kommen. Auch Freunde prophezeien ihm eine große Zukunft. Bereits zu Beginn trifft er seine zukünftige Frau Bertha, aber er entscheidet sich zunächst, Karriere zu machen, bevor er sie wiedersehen soll. Sie unterstützt ihn dabei, weil sie selbst aus einer wohlhabenden Familie kommt und einen erfolgreichen Ehemann haben möchte. Damit beginnt eine Familiengeschichte, die am Ende positiv ausgeht: Die beiden heiraten und Witiko erbaut seine Stammburg „Witikohaus. Zugleich gibt es aber eine viel größer ausgebildete politische Geschichte des Hochmittelalters, in dessen Verlauf Witiko sich den erhofften Erfolg erarbeitet. Witiko wird von dem Herzog Sobeslav nach Prag geschickt, um herauszufinden, wer sein Nachfolger wird. Dort wird nicht sein bereits feststehender Sohn Wladislaw, sondern sein Neffe, der ebenfalls Wladislaw heißt, gewählt. Dieser Thronfolgekonflikt stellt die eigentliche Rahmenhandlung dar, in dessen Verlauf Witiko als umsichtiger Lenker, als militärischer Stratege und als vertrauenswürdiger Verbündeter zu Ansehen gelangt. Seine Entwicklungsgeschichte, bei der er auch Rückschläge hinnehmen muss, spielt sich dabei in drei Sphären ab, die sich gegenseitig überlappen und situativ verbinden: Erstens die große Politik, die ihn als Unterstützer Wladislaws II. (des Neffen) nach Prag und Friedrich Barbarossas nach Mailand führt; zweitens die Familiengeschichte, die seine eigene Herkunft und das Brautwerben um Bertha umfasst und drittens die Heimatgeschichte, in der er sich als guter Herrscher zeigt, der klug, bedacht und fürsorglich seine Untergebenen führt und versorgt.
Die Wahl des historischen Stoffes muss vor dem Hintergrund der Literaturtrends seiner Zeit gesehen werden. Im 19. Jahrhundert erfreute sich der historische Roman besonderer Beliebtheit, besonders in der Nachfolge Walter Scotts. Scott erzählte dabei die persönlichen Geschichten seiner Protagonist:innen in einem historischen Setting. Dabei schafft er es, die jeweiligen Milieus und das Leben der Figuren zu ihrer Zeit lebhaft darzustellen und die Menschen im Austausch mit ihrem historischen Umfeld zu zeigen. Scott war bereits unter Zeitgenoss:innen äußerst beliebt und beeinflusste sehr viele Autor:innen. Die Romane fügten sich zugleich auch in die Vorstellung des vorherrschenden Historismus des 19. Jahrhunderts, der Menschen und Phänomene aus ihrer historischen Situation heraus verstehen wollte. Stifter hingegen fehlte aufgrund seiner idyllischen und bürgerlichen Stoffe bislang das Format eines anerkannten Schriftstellers. Dieses wollte er mit der Witigonen-Trilogie (bzw. Rosenberger-Trilogie), denn als solche war sein Projekt angelegt, erlangen. Wieso er nun aber ausgerechnet Witiko wählte, einen kaum bekannten Menschen einer bereits zu Stifters ausgestorbenen Adelsfamilie, ist vor allem biographisch begründet. Stifter, der Österreicher, kam aus Oberplan, heute Horní Planá, in Böhmen, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte und verstand sich selbst als Sohn dieser Region, auch wenn er zur Zeit der Niederschrift schon lange in Linz wohnte. Für ihn war es also wichtig, die Geschichte dieser Region zu erzählen und ihr damit einen geschichtlichen Rang zu verschaffen.

Dies kann man in einem spezifischen und einem allgemeinen Rahmen verstehen. Zunächst zum Allgemeinen: Im 19. Jahrhundert wird, auch aufgrund des Historismus, das Archiv als Ausgangspunkt der literarischen Inspiration besonders wichtig. Hier spielt die Abwendung vom Geniegedanken und die Zuwendung zur Realität hinein, aber auch der Druck durch Vorbilder, von denen man sich durch eine neue Wahl von Stoffen abgrenzen wollte. Es ist nicht so wie bei Schiller, der zwar viel recherchierte, aber die Handlung auch sehr frei gestaltete, um sie seinen Idealen anzupassen, der Stoff gibt die Geschichte quasi vor. Michel Foucault bezeichnete diesen Wandel im Zusammenhang mit Gustave Flaubert so, dass man hier das „Imaginäre [als] ein Phänomen der Bibliothek“ verstehen müsse, es „haus[e] zwischen dem Buch und der Lampe“.

Der spezifische Rahmen schließt sich daran an, Stifter selbst hebt die Arbeit am Text und das intensive Quellenstudium hervor, um am „Körper des Mittelalters“ zu feilen. Dabei benutzte er vor allem zeitgenössische Geschichtsschreibung und mittelalterliche Dichtung, also wenig mittelalterliche Historiographie. Er versuchte also schon, sehr genau die dargestellte Epoche wiederzugeben, bediente sich dabei aber auch eines fiktionalen Anteils. Nun ist aber der entscheidende Punkt, dass sich bei ihm die Geschichte gleichsam von selbst schreiben soll. Immer wieder revidiert er seinen Text, um einen ganz neutralen Stil ohne Bewertungen zu kreieren. Der Text redet aus seinen Dokumenten heraus und es obliegt den Leser:innen, die Handlung einzuordnen, zu bewerten und überhaupt erst zu verstehen.

Und hier kommt man zu einem ästhetischen Argument für die Wahl der Figur Witikos: Man kann sagen, dass Witiko zwar idealtypisch den ‚mittleren Helden‘ darstellt, den es bei Scott brauchte, um dadurch auch die geschichtlichen Umstände zu zeigen, aber die Figur ist eigentlich schon wieder zu blass und entwickelt sich während des ganzen Romans kaum. Aufgrund dieser Merkmale nähert sich der Roman auch wieder dem Epos an, von dem sich der historische Roman gerade abgrenzte. Doch ist gerade dies wichtig für Stifters Geschichtsbild: Das Individuum müsse im „großen Strome“ der Geschichte gezeigt werden, es darf gar nicht zu sehr hervortreten, denn nur so kann der Geschichtsidealismus Stifters zum Ausdruck gelangen. Für ihn zeigt sich nämlich on the long run in der Geschichte das Wirken eines „Sittengese[t]z[es]“, das die Menschheit „einem großen ewigen Ziele“ entgegensteuere. Dies ist aber eben nur erkennbar, wenn man die punktuellen Gewaltexzesse und persönlichen Handlungen außer Acht lässt. Denn die Gewalt zur erfolgreichen Durchsetzung politischer Interessen steht mit dieser Vorstellung nicht in Einklang. Damit verarbeitet der Roman inhaltlich seine Entstehungszeit, nämlich als Abwendung nationalistischer Interessen, die militärisch durchgesetzt werden, wie es beispielsweise Bismarck tat. (Der Roman erschien ja 1867 vollständig, also zur Zeit der Schlacht von Königgrätz, bei der Preußen Österreich besiegte, um damit einen nächsten Schritt zur Gründung eines preußisch dominierten Deutschen Reiches zu unternehmen.) Die Konfrontation von Geschichtsbild und Methode erzeugt auf gewisse Weise ein Dilemma des Romans, aber auch seine eigentümliche Spannung: Auf der einen Seite gibt es ein Ethos zur Einhaltung der Quellen und Genauigkeit der Darstellung, diese Quellen widersprechen aber in Teilen der Absicht des Autors, er muss sie aber dennoch einfügen und lässt sie unkommentiert stehen. Gegen diese Unwucht wird ein erzählerisches Widerlager eingebaut, nämlich die Familiengeschichte Witikos, die in kontrollierten, sittsamen Bahnen verläuft.

Um den „großen Strome“ zu zeigen, ist aber eben nicht nur Witiko wichtig, sondern in der Handlung geht es ja vor allem um den Konflikt von Recht und Rechtmäßigkeit, den auch Witiko selbst durchlebt und sich erst auf die Seite des Neffen Wladislaw stellt, als der Sohn Wladislaw seine Rechte an einen Dritten, Konrad von Znaim, abtritt. Dennoch bleibt der Zweifel immer bestehen und diese Entscheidung ist quasi erst vom Ende her die richtige. Es bleibt damit auch die Frage, ob Gewalt Interessen durchsetzt, oder ob sich am Ende im Sieg eine vorherbestimmte Ordnung zeigt. Die ganze Angelegenheit bleibt alleine dadurch verwirrend, dass die beiden Akteure Wladislaw heißen und es keine Epitheta, also Beiworte, gibt, die sie voneinander unterscheiden. Damit wird aber eine gewisse Verwirrung der Protagonist:innen an die Rezeptient:innen abgegeben.

Und deshalb ist das extreme Zurücktreten des Erzählers insofern spannend, weil es diese andauernde Debatte um die ‚richtige‘ Thronfolge abbildet und eine Multiperspektivität vor Augen führt, die ein aktives und unvoreingenommenes Lesen verlangt. Zugleich kann man den Text aber auch als eine Auseinandersetzung mit Lesevoraussetzungen verstehen, denn die Geschichte Witikos wird auch als eine subtile Bildungsgeschichte gezeigt, bei der er seinen Prinzipien immer treu bleibt und es so, auch dank der Motivation seiner ehrgeizigen Frau Bertha, zum sozialen Aufstieg bringt. Die Sympathie mit Witiko und seiner Entscheidung kommt also vor allem durch das, was man in die Lektüre bereits hineinträgt, zustande, etwa Leseerfahrungen mit Bildungsromanen oder der Verinnerlichung bestimmter moralischer Codes.

Auffällig an dem Roman ist die stete, fast schon litaneiartige Wiederholung von Sätzen, die wörtliche Nacherzählung von Berichten und Begebenheiten, die identische Wiederholung von Passagen. Das hat mehrere Effekte: Zum ersten signalisiert es Genauigkeit, ein lückenloses Dokumentieren, wenn das eigentlich Redundante wiederholt wird. Durch diese Wiederholung erhält das Gesagte aber eine Bedeutungsaufwertung. Dies betrifft einerseits die Darstellung der mittelalterlichen Hofgesellschaft und der Hofformalitäten und der Ritualisierungen. Es stellt das politische Agieren und den politischen Raum aus. Es ist aus politischer Sicht wichtig, dass jede Partei die Gelegenheit erhält, alles zu sagen, was sie will, sich dabei aber auch an Regeln hält, bei denen nicht alle gleich viel sagen dürfen. Jede Aussage bietet dadurch aber die Möglichkeit zur Distinktion, also der Unterscheidung durch Details in der Nacherzählung, durch Bewertungen und strategisches Handeln, das sich darin ausdrückt. Man sieht dies beispielsweise auch an der Kleidung, die hervorgehoben wird und wo jede Hutfeder ein Abgrenzungszeichen darstellt. In dieser Klammer von Aussagewiederholung und -variation erzeugt der Text aber genau eine Multiperspektivität und ein neutrales Erzählen, das die Geschichte zum Sprechen bringt.

Aus mindestens 4 Gründen. Erstens die gerade erwähnte Multiperspektivität und Neutralität der Erzählhaltung, die den Text immer wieder in die Nähe zur Moderne, beispielsweise Kafka oder Alain Robbe-Grillet, gesetzt hat.

Zweitens behandelt der Roman ja einen spezifischen Raum, Böhmen, bzw. ein Gebiet, aus dem dann Böhmen werden sollte. Und dies hat zu Instrumentalisierungen von beiden Seiten geführt: Deutschnationale und Vertriebene lasen ihn als Dokument eines deutschen Ursprungs Böhmens, Tschechischnationale als Dokument einer Verharmlosung der deutschen Kolonisation dieses bereits besiedelten Raums. Mittlerweile wird eine dritte Sichtweise vertreten, nämlich die, dass es hier um die Schaffung eines hybriden europäischen Kulturraums jenseits nationaler Grenzen geht. Dies ist womöglich auch mehr im Sinne Stifters gewesen, der seinen drei Bänden drei Titelbilder vorangesetzt hat, dessen erstes Witiko war, das zweite Wladislaw und das dritte Barbarossa, womit eine europäische Integration Böhmens angedeutet wird.

Drittens ist dieser Kulturraum aber lange und immer wieder ein Naturraum und hier zeigt kann sich eine ökologische, Perspektivierung des Romans anschließen: Die Natur ist immer wieder Bezugsort der Figuren, diese stehen in engem Verhältnis zum Wald und sind mit diesem verschränkt, sodass sie sich ohne diesen nicht denken lassen. Zudem führt der Roman eine Nutzbarmachung der natürlichen Ressourcen vor Augen, die nicht aufklärerisch idealisiert wird, aber auch keinen kapitalistischen Raubbau betreibt.

Viertens die Frage von Kanon und Konservatismus: Stifter kann durchaus als ‚konservativer‘ Autor verstanden werden, dem es vor allem um das Errichten und Bewahren von Ordnung und die Zähmung alles Leidenschaftlichen und Wilden geht. Dies betrifft sowohl die Natur als auch die Geschlechter als auch die Politik. Insofern könnte man durchaus argumentieren, dass Stifter im heutigen Kanon überkommen wirkt. Einerseits. Andererseits bekommt diese Ordnungshaftigkeit schon wieder nahezu pathologische Qualität in den wortwörtlichen Wiederholungen, den Aufzählungen ohne Kommata, der irritierenden Gefühllosigkeit der handelnden Figuren. So zeigt ich hier nicht nur, um etwa eine Selbstbeschreibung Konrad Klaphecks anzuwenden, „Feuer unter einer Schicht aus Eis“, sondern die Aporie, also Ausweglosigkeit, aller Ordnungsbemühungen.

Von BjoernM.

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